Herr Kastura, feiern Sie Fasching oder Karneval?
Zu Hause feiern wir Fasching, wenn ich im Rheinland bin natürlich Karneval. Beides kann vergnüglich sein – in Maßen.
Sie wissen, warum ich diese Frage gestellt habe:
Sie selbst stammen aus Bayern (wo Sie auch leben) und doch spielt „Der vierte Mörder“ in Köln.
Wie kommt das?
Dazu muss ich ein klein wenig ausholen.
Ich wollte gern einen Kriminalroman schreiben, in dessen Mittelpunkt
Drohbriefe stehen, die einen Anschlag auf eine U-Bahn ankündigen.
Also brauchte ich einen Schauplatz. Und zwar nicht irgendeinen, sondern
eine Stadt, die ein urbanes Verkehrssystem einer Größenordnung besitzt,
bei der ein solches Bedrohungspotential gegeben ist.
Der Auslöser für diese Idee – die ich bereits vor den Londoner
Anschlägen hatte – war ein Vorfall im Jahr 2003 in Daegu, der
drittgrößten Stadt Südkoreas. (Ein
Selbstmordversuch hatte dort zu einem Brand geführt, bei dem fast 200
Menschen ihr Leben verloren und ca. 150 teilweise sehr schwer verletzt
wurden – A.d.R.).
Ich wollte die Frage beleuchten: Was geht in einem Einzeltäter vor, der
ein Verbrechen begeht, das sonst eher einer politischen oder religiösen
Gruppierung zugeschrieben wird (denken Sie nur an die AUM-Sekte und
ihren Giftgasanschlag 1995 in der Tokioter U-Bahn).
Sie sehen also, der Roman konnte gar nicht in Bamberg spielen – ich
brauchte unbedingt eine Großstadt, um den wunden Punkt unserer
Zivilisation zu beschreiben.
Und warum dann gerade Köln?
Ich habe viele Freunde in Köln, kenne die Stadt also ganz gut, wenn auch nur als Besucher.
Die Mischung, die man dort findet, ist einfach toll: Einerseits spröde, andererseits aber auch sehr herzlich.
Außerdem ist mir der regionale Aspekt sehr wichtig. Der deutsche Krimi
war schon von jeher stark regional ausgerichtet (denken Sie nur an
Droste-Hülshoff oder Fontane). Unter anderem deswegen, weil es im
Deutschland des 19. Jahrhundert keine Metropolen gab, die mit Paris
oder London vergleichbar waren. In Köln sind diese regionalen Wurzeln
besonders stark ausgeprägt. Sie erfüllen einen Krimi mit Leben. Wenn
man also beides will, einen Fall von internationaler Brisanz und
zugleich ein markantes, stimmungsreiches Umfeld, dann ist Köln ideal.
Gibt es noch andere Gründe, einen Roman nicht in der Stadt spielen zu lassen, die man am besten kennt, weil man dort lebt?
Oh ja.
Sehen Sie, in der eigenen Heimatstadt ist alles und jedes mit einer
bestimmten Bedeutung „besetzt“. Angefangen von diesem oder jenem Café
bis hin zu irgendeiner Parkbank.
In einer fremden Stadt wiederum lässt sich vieles unvoreingenommen
entdecken, man kann sie wie eine Bühne benutzen, oder ein Film-Set. So
freue ich mich jedes Mal, wenn ich nach Köln komme, aus dem Zug steige,
über die Domplatte gehe, dass ich jetzt gleich meine Figuren wie
Schauspieler an diesen Orten agieren lassen kann.
Sobald ich dann in Nippes bin, dem „Veedel“, das ich am besten kenne,
weil ich dort während meiner Köln-Aufenthalte wohne, weswegen auch mein
Roman teilweise dort spielt, fühle ich mich ein bisschen wie in
Bamberg.
Ein bisschen kleinstädtisch ist es, aber doch sehr multi-kulti, mit allen Vor- und Nachteilen.
Dennoch ist Köln an sich eine Großstadt – und eine solche brauchte ich
als Kulisse. Unter anderem deswegen, weil ich noch mehr Romane mit der
Figur des Raupach plane und das funktioniert einfach besser in einem
großstädtischen Umfeld. Da lassen sich ganz andere Themen – in
politischer wie gesellschaftlicher Hinsicht – finden als in der
Provinz. Die wiederum ist eher Schauplatz für skurrile abseitige Fälle.
Aber man kann das nicht verallgemeinern. Wenn es die Geschichte
erfordert, schicke ich Raupach künftig auch mal aufs platte Land.
Aber was ist mit München? Auch das ist eine Großstadt und auch dort gibt es eine U-Bahn …
Die U-Bahn in München ist Horror – die in Köln eine wahre Wonne.
Die Bahnen der KVB (die ja zum Großteil überirdisch fahren) kommen
meist im Zwei- bis Dreiminutentakt; man ist damit super schnell am
Ziel.
In München hingegen dauert es Ewigkeiten, die Bahn ist komplett
unterirdisch, man muss ellenlange Strecken unter der Erde zurücklegen,
wenn man umsteigen will.
Jetzt bin ich verwirrt: Ist denn nicht U-Bahn gleich U-Bahn?
Oh nein.
Eine „richtige“ U-Bahn hat eine größere Spurbreite, ganz spezielle
Wägen, verläuft komplett unterirdisch. Das macht sie zu einem
geschlossenen System, das in Regel auch leichter zu überwachen ist.
Wow, Sie wissen ja eine ganze Menge über den technischen Aspekt …
Ich habe das Glück, dass
ein guter Freund Anlagenbauer bei Siemens ist und sich mit dieser
Materie auskennt. Der hat mich informiert.
Auch in anderer Hinsicht hatte ich gute Berater: Meine Lektorin stammt
aus Köln und konnte mir so manchen guten Rat geben. Für eine
Dialektpassage haben wir uns allerdings den Segen der „Akademie för uns kölsche Sproch“
geben lassen. Auf diesem Wege herzlichen Dank!
Nachdem wir jetzt
geklärt hätten, warum Köln der Schauplatz Ihres Romans ist, lassen Sie
uns einen Blick auf die Figuren werfen.
Der Held ist ein Mann in den Vierzigern, der privat und beruflich nicht
eben auf der Sonnenseite des Lebens steht – zumindest nicht am Anfang
des Buches.
Warum haben Sie sich keinen jungen, gut aussehenden Kommissar ausgedacht, mit Schlag bei den Frauen?
Mir war wichtig, dass sich meine Figur erst „freischwimmen“ musste. Raupach fängt ja nicht als Leiter der Ermittlungen an, sondern muss sich erst rehabilitieren wegen eines früheren Fehlers. Außerdem habe ich ein Faible für „Underdogs“ – nicht deswegen, weil diese manchmal so sympathisch wirken, sondern weil sich an ihnen ein Entwicklungsprozess zeigen lässt. Ein strahlender Held ist trivial – ich wiederum möchte lieber einen modernen Sisyphos im Zentrum meiner Bücher haben, einen der nicht wirklich „ankommt“. Kein Fall ist ganz abschließbar, der nächste beginnt gleich im Anschluss, viele Verbrechen gelangen nie zur kompletten Auflösung.
Sie haben sich bei der Wahl Ihrer Figur also nicht an Typen wie John Rebus (dem Protagonisten der Romane von Ian Rankin) orientiert?
Nein, von Rankin habe ich bisher noch nichts gelesen.
Welche Autorenkollegen stehen dann in Ihrem Bücherschrank?
Mein Problem ist wahrscheinlich, dass ich zu wenig Krimis lese – und wenn, dann immer dieselben.
Fred Vargas mag ich sehr. Und Karin Fossum. Die Perspektive von Tätern
bzw. Verdächtigen finde ich ganz wichtig in einem Kriminalroman.
Patricia Highsmith ist darin unerreicht. Wer genau hinschaut, findet
die berühmte Spiegel-Szene aus dem ersten Ripley-Band in stark
abgewandelter Form im „Vierten Mörder“ wieder, als kleine Hommage an
Highsmith. Allerdings schaut nicht der Täter, sondern der Ermittler in
den Spiegel ...
Zurück zu IHREM Helden: Gibt es da autobiographische Elemente?
Sagen wir mal so: Er ist so alt wie ich und auch die Tätigkeit im Archiv kenne ich aus eigener Erfahrung. Während meiner Studentenzeit habe ich Zeitungsausschnitte archiviert und fühlte mich buchstäblich unter Aktenordnern begraben. Am Anfang ist Raupachs Karriere im Keller, deshalb sitzt er auch im Untergeschoss des Polizeipräsidiums. Wobei hier die Analogie zur U-Bahn eine durchaus beabsichtigte ist.
Die rechte Hand des Protagonisten ist eine junge Polizistin griechischer Abstammung, auch hier die Frage:
Warum kommen ihre Eltern nicht aus Italien? Der Türkei? Russland? Polen?
Haben Sie eine besondere Affinität zu Griechenland?
Ich hatte Alt-Griechisch
in der Schule, das war ein schöner Luxus. Ein wenig davon konnte ich
sogar auf meinen Griechenland-Reisen anwenden, wobei die Aussprache am
schwierigsten hinzukriegen ist.
Raupach denkt oft über Mythen und antike Geschichte nach, weil dort die
Ursprünge dessen liegen, was unsere Kultur bis heute bestimmt. Das
Drama „König Ödipus“ ist, wenn man so will, der erste Krimi: Ödipus
ermittelt unwissentlich gegen sich selbst. Da Raupach aber Rationalist
ist, liegt ihm die römische Kultur mehr. Er versucht ganz bewusst,
pragmatischer zu werden.
Dem wollte ich nun das „griechische“ Element gegenüberstellen; Helden
wie Odysseus oder auch der oben erwähnte Sisyphos, die durch List zum
Ziel kamen. Die junge Polizistin Photini steht für Impulsivität und
Emotionen. Den Namen habe ich mir von einer Kellnerin aus Kalamata
„geborgt“ – außerdem habe ich eine gute Freundin, die aus Griechenland
stammt, mit der ich mich bei Bedarf austausche.
Neben umfangreichen Schiller-Zitaten kommt auch Homer zu Wort.
Ist das ein Hinweis auf Ihre klassische (Aus-) Bildung?
Ein persönliches Steckenpferd?
Oder ein bewusst eingesetztes dramaturgisches Mittel?
Nun, zunächst einmal mag
ich Literatur – schließlich habe ich ja auch Germanistik studiert. Das
Gedicht von der „Glocke“ ist mir ins Auge gefallen, als ich den Plot
meines Romans plante und ich dachte gleich, dass sich der Text gut für
eine schicksalsschwere Drohung benutzen lässt. Das habe ich also
bewusst eingesetzt.
Die „Glocke“ ist Allgemeingut, viele Wendungen daraus sind
sprichwörtlich geworden. Und von Schiller stammt wiederum der erste
deutsche Krimi „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“. Auch Schiller ist
(wie Köln) eine ideale Mischung: einerseits Bildung,
Geschichtsträchtigkeit, andererseits handlungsstarke Dramen, Action,
Intrigen der Mächtigen.
Es werden in „Der vierte Mörder“, das darf man verraten, Musiker gewaltsam vom Leben zum Tod befördert.
Welche Musik mögen Sie persönlich am liebsten?
Ich liebe Sophie Zelmani und andere Singer/Songwriter, aber auch die Filmmusik von Angelo Badalamenti oder Yann Thiersen.
Und die obligatorische letzte Frage: Wie geht es mit Raupach weiter? Wird er noch häufiger ermitteln?
Wie ich schon sagte – es sind definitiv weitere Fälle geplant.
Dazu gibt es auch schon ein Exposé. Gerade schreibe ich eine Weihnachtserzählung mit Raupach und Photini, die man sich bald im Krimi-Download-Portal von „Jokers“
herunterladen kann.
Das sehr angenehme Interview führte Chefredakteurin Michaela Pelz
(Oktober 2006)
(Foto: Cornelia Daig-Kastura)