"Da steht er nun, der Goretex-Tor, und ist so klug als wie zuvor." Auf Verständnis können Polarhelden wie Arved Fuchs bei Thomas Kastura nicht rechnen, schon gar nicht auf Mitleid. In seinem bemerkenswerten Essay deckt der bekennende Leser von Reise- und Abenteuerbüchern auf höchst anregende Weise wieder einmal auf, das es an den Extremen dieser Welt, auf den Achttausendern und an den Polen, eigentlich nichts zu entdecken gibt. Noch Nietzsche hatte gehofft, durch kühles Denken werde so mancher Irrtum im Eis auf ewig begraben. Tatsächlich bleiben dort Müll und Leichen frisch. In den Todeszonen fällt Kopfarbeit schwer. Deshalb, so Kastura, taugten auch die "Erkenntnisse", die von dort zurückgebracht würden, wenig. Sie seien Ausdruck jener Hybris, die aus körperlicher eine geistige Überlegenheit ableite. Mehr aber auch nicht. Als kluger Essayist und Polemiker möchte Kastura von den Polen intellektuelle Geschenke mitgebracht bekommen, von denen er (selbstverständlich) weiß, dass es sie nicht gibt. Das macht die Lektüre dieses Büchleins zum klirrenden Vergnügen. (Tobias Gohlis, Die Zeit, 18.1.2001)
Warum
muss sie denn sein, diese Tortur, diese Flucht ins Eis, fragt sich Thomas
Kastura in seinem kurzweiligen Essay, in dem er untersucht, warum wir
ans kalte Ende der Welt wollen. Sind es zivilisationsuntüchtige
Versager, die sich da von ihrer Alltagswelt, mit der sie nicht zurande
kommen, loseisen? Eine mögliche Antwort, findet Kastura und geht
gleich noch einen Schritt weiter, indem er Gestalten wie Amundsen und
Scott nicht etwa als Eisheilige, sondern als Egomanen hinstellt, denen
man nur ungern sein Leben anvertrauen möchte. Der Marsch an den
Pol und darüber hinaus ist ein Alleingang, konstatiert Kastura,
auch wenn man gemeinsam aufbricht. "Bleiben Sie im Ohrensessel
sitzen", rät Kastura und setzt sich ausführlich mit der
Literatur zum Thema auseinander, der belletristischen wie der dokumentarischen
als auch der philosophischen und psychologischen. (Knut Cordsen, Bayerischer
Rundfunk, 6.5.2000)
Draußen
eisig, drinnen warm - ist es der Temperaturkontrast, der die Lektüre
der Eisliteratur so reizvoll macht? Steigert das Lesen von zivilisations-
und wegloser weißer Weite unsere Heimeligkeitsgefühle? Sehnen
wir uns nach der extremen Herausforderung, der wir doch nur auf Buchseiten
gewachsen sind? Antwortversuche und Erklärungen für die vielfältige
Eis(buch)lust gibt Thomas Kasturas Essayband "Flucht ins Eis",
dessen größter Reiz darin besteht, wiederum zu neuen Gedanken,
neuen Fragen, neuer Frostlektüre anzuregen. (Rolf-Bernhard Essig,
Süddeutsche Zeitung, 15.1.2001)
Geradezu verärgert reagiert Thomas Kastura auf die intellektuelle Schlichtheit der Polreisen. "Da steht er nun, der Goretex-Tor, und ist so klug als wie zuvor", mokiert er sich über Fuchs' Gestammel nach Erreichen des Südpols 1989. "Große Gedanken werden an den Erdachsen gemeinhin nicht gedacht." Die diversen wissenschaftlichen Erklärungen, die er selber in seinem elegant und kenntnisreich formuliertem Essay "Flucht ins Eis" zusammengetragen hat, um die Frage zu beantworten, "warum wir ans kalte Ende der Welt wollen", führen jedoch auch nicht viel weiter. Sie bestärken nur die Voranannahme des gesunden Menschenverstands, dass es sich bei Abenteurern um Leute abseits der Norm handelt. Auf der Flucht vor den Widrigkeiten des Alltags, mit denen manche nicht fertig werden, stürzen sie sich in halsbrecherische Abenteuer, die sie in den von Psychologen "Flow" genannten Zustand versetzen. "Ohne viel Nachdenken verschmelzen dann Bewußtsein und Handlung zu einer zeitenthobenen Einheit", formuliert Kastura. Für ihn läuft das Ganze letztlich auf Ich- und Zeitflucht hinaus: "Das lästige Ich läßt sich nur dann loswerden, wenn man einen Teil der Persönlichkeit ausblendet. Angst gehört dazu, Reflexionsfähigkeit und nicht selten der gesunde Menschenverstand." (Tobias Gohlis, Literaturen, Dezember 2000)
Warum wir aber gerade ans kalte Ende der Welt wollen, das untersucht Kasturas ebenso scharfsinniger wie kurzweiliger Essay "Flucht ins Eis". Gründe findet er zuhauf. Besonders die Jagd nach Rekorden, die Ruhmsucht, die Amundsen zum Südpol, Cook und Peary zum Nordpol stapfen ließ oder Hilary auf den Everest scheuchte, treibt noch immer die Messners und Krakauers um. [...] Von wale-watching im Treibeis bis Fallschirmspringen über den Polen - Hauptsache die Kasse stimmt. Ein Ärgernis, das Kastura geistreich entlarvt, auch wenn das nur die Spitze des Eisbergs ist, denn schlimmer sind die Erlebnisberichte und Reisebeschreibungen der Selbsterfahrungsjünger. [...] Der Traum vom "Edlen Wilden" in Eis und Schnee - noch so eine Illusion, mit der er gründlich aufräumt wie mit der Vorstellung einer rundum sauberen, reinen, unverdorbenen Natur. Doch den belehrenden Zeigefinger ob des skurrilen Irrsinns sucht der Leser vergebens. Das macht das Buch bemerkenswert: Der ironisch genaue Blick auf überkommene Vorurteile, falsches Pathos und selbstverliebtes Heldentum." (Peter Braun, Fränkischer Tag, 6.5.2000)
Der
Polartourismus blüht. Man bucht pauschal und hat die Wahl: Hundeschlittentour,
Eisbrecherkreuzfahrt oder Fallschirmexpedition. "Kein Trip kommt
besser als das rauschhafte
Gefühl, wieder einmal überlebt zu haben." Und dennoch
ist der Kick im Eis anders als der am Bungee-Seil. Exklusiver, ein Luxus,
wie Thomas Kastura bemerkt. Kastura will es in seinem Essayband wissen:
Warum um Himmels willen diese Lust am Eis? Denn es boomt nicht bloß
der Polartourismus. Auch die Literatur, die Filmindustrie und die Werbebranche
hat der kalte Zauber erfasst. Psychologen sehen verschiedenste Gründe:
Die Gefahrlosigkeit der westlichen Welt. Flucht vor den eigentlichen
Problemen. Steigerung des Selbstwertgefühls. Streben nach Ruhm.
Neugier. Suche nach Weisheit. Allerdings: Die Lektüre zeitgenössischer
Polarfahrtprotokolle erweist sich als ernüchternd. "Große
Gedanken werden an den Erdachsen gemeinhin nicht gedacht", stellt
Kastura enttäuscht fest und resümiert: "Banale Expeditionsprosa
voller Schweiß, Frostbeulen und Schneeblindheit". Im fiktionalen
Sektor sieht es nicht besser aus. Polarromane im Überfluss, aber
wenig Anspruchsvolles. Stattdessen jede Menge "selbstverliebte
Nabelschauen und esoterische Selbsterfahrungsarien". Ernüchternd.
Und so kommt Kastura zu dem Schluss: "Begeben Sie sich direkt in
den Ohrensessel. Gehen Sie nicht über den Pol. Denn im Ohrensessel
erfährt man mehr über den Menschen und die Natur, als uns
Adrenalinschübe und Frostbeulen vermitteln können." Squall-Parka
also nur für die City. Ganz ungefährlich ist die Kastura-Lektüre
im Ohrensessel allerdings auch nicht. Denn der Autor hat derart viel
gelesen, dass die Gefahr besteht, von all den Eis-Bücher-Brocken
erschlagen zu werden. (Susanne Staerk, Die Welt, 3.6.2000)
"Flucht
ins Eis", Untertitel: "Warum wir ans kalte Ende der Welt wollen",
so heißt ein schmales, aber gehaltvolles Büchlein, das unserer
Sehnsucht nach dramatischen Abenteuern in klirrender Kälte auf
die Schliche zu kommen versucht. Es stammt aus der Feder von Thomas
Kastura, einem erklärten Liebhaber der Polarliteratur, der das
Genre entsprechend liebevoll, aber auch kritisch unter die Lupe nimmt.
Auf dem Prüfstand stehen die Werke von Autoren und Eisheiligen
wie Reinhold Messner, Jon Krakauer, Christoph Ransmayr und Sten Nadolny.
"Flucht ins Eis" ist aber nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme
der jüngeren Beiträge zur Hochgebirgs- und Polarliteratur,
sondern auch eine geistvolle und ironische Auseinandersetzung mit unserer
Alltagskultur, mit Zivilisationsmüdigkeit und dem modischen Fitness-Extremismus.
(Ulrich Klenner, B 5 Aktuell, 23.6.2000)
Was fasziniert uns so am Eis und den unwirtlichsten, lebensfeindlichsten Regionen? Warum verschaffen uns die Frostbeulen und Schneeblindheit anderer den ultimativen Thrill? Dieser Frage geht Thomas Kastura in seinem Essay "Flucht ins Eis" nach. Mit viel Sach- und Literaturkenntnis sowie flüssigem Schreibstil ausgestattet, gelingt ihm ein interessanter Rundumschlag über die Mythen, die sich um die Pole ranken. [...] Das Weiß kommt, so folgert Kastura, der Tendenz der Moderne entgegen, sich vom Gegenständlichen zu befreien. Aber auch eine Endzeitstimmung können die polaren Mythen bedienen. Kasturas finaler Ratschlag indes, den Ohrensessel dem Polargebiet vorzuziehen, befriedigt nicht. Wer dieses "Nichts" mit eigenen Augen sieht, und sei es nur von der Schiffsreling herunter aus sicherer Distanz, wirft ehrfürchtig und andächtig die Vorstellung über Bord, der Mensch könne die Natur beherrschen. (Andreas Sommer, Heilbronner Stimme, 24.8.2000)
Warum wir ans kalte Ende der Welt wollen, versucht Thomas Kastura in seinem Essay zu erklären. Was ist dran an der Flucht ins Eis? fragte er und glaubt, dass sie für viele Menschen nicht allein die Suche nach unberührter Natur bedeutet oder die Befriedigung, irgendwann und irgendwo einmal der Erste zu sein. Vielleicht werde mancher Eisforscher mehr von seinem Wunsch getrieben, die Probleme und Auseinandersetzungen des Alltags zu vermeiden, oder er suche einfach nach einer eigenen Identität. Kastura befasst sich allerdings nicht nur mit derlei realen Dingen, sondern plädiert auch für eine gedachte Abenteuer-Reise: Was kann es Schöneres geben, als an einem Winterabend an einem warmen Ort die Arktis in der Phantasie zu erleben! Also: "Begeben Sie sich direkt in den Ohrensessel. Gehen sie nicht über den Pol." (Rheinische Post, 15.9.2000)
Auch Thomas Kasturas kenntnisreicher Streifzug durch die Polarliteratur muss die Antwort schuldig bleiben, warum wir uns dem Lockruf der Kälte wider besseres Wissen nicht entziehen können. Am Ende scheinen wir doch Wiederholungstäter zu sein. Wie jener junge Mann, der dem Hungertod in der Arktis knapp entging, nur um wenig später endgültig dahin zurückzukehren. Er müsse zurück, erklärte er, um einen Teil von sich selbst wiederzuholen. (Kai Müller, Tagesspiegel, 12.2.2001)
'Ga gewoon in uw leunstoel zitten dromen over de poolgebieden'. Dat is de raad die Thomas Kastura ons geeft in zijn lezenswaardige essay "Flucht ins Eis. Warum wir ans kalte Ende der Welt wollen". Al eeuwenlang is de mens in de ban van de poolstreken. In deze polaire bloemlezing tracht de auteur een antwoord te geven op het waarom. Het waarom van de talrijke poolexpedities bijvoorheld, waarbij behalve nieuwsgierigheid veelal ook geld en roem een rol speelden. (Nordic 2/2000)Thomas
Kastura: Flucht ins Eis.
Warum wir ans kalte Ende der Welt wollen.
Berlin: Aufbau Verlag 2000. 127 Seiten. 12 €
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