"Mozarts
Musik schwitzt nicht", konstatierte Joachim Kaiser, Kritikermaestro
und Missionschef der Tonsetzer- und Schriftkultur. Er meinte damit das
Leichtfüßige im Ausgefeilten, das Unangestrengte im Gebauten,
das Natürliche im Künstlichen, kurz: dass man nicht merkt,
was an Schweiß und Mühen dahintersteckt. Das ist schön
gesagt und unbedingt richtig, aber es lässt eine Frage offen: Wenn
Mozarts Musik nicht schwitzt, schwitzte dann Mozart
?
Im Sommer ist es meistens heiß, selbst in Salzburg
oder Wien, und in Paris, Rom, Mailand sowieso. Spätestens der Perückenzwang
der damaligen Zeit legt die Vermutung nahe, dass ab und an ein Tröpflein
die Partituren des großen Amadeo netzte. Die bekannten Wischflecken
auf Mozarts Notenblättern sind demnach nicht nur Indizien eines
ungestüm forteilenden Geistes, sondern geben auch Zeugnis von ganz
diesseitigen Vorgängen. Schon im Mittelalter schrieben fleißige
Mönche Chroniken und Codices im Schweiße ihres Angesichts.
"Wasserschaden" ist dort dann lieblos vermerkt und niemand
macht sich mehr ein Bild davon, was die Klosterbrüder unter der
Kutte durchmachten, während sich ihr Abt einen Kneippschen Blitzguss
gönnte.
Wenn es draußen grell und greller wird, die
Luft im Zimmer stehenbleibt und die Feder immer wieder aus der Hand
flutscht, machen viele Künstler eine schöpferische Pause.
Bei dreißig Grad im Schatten regt sich wenig im trägen Dichterhirn
und nichts will recht gelingen. Auch Wolfgang
Hildesheimer
hat sich "am Rand einer Wüste, einem Punkt
des Zufalls, fern von Masante
"
redlich gemüht, einen Gedanken bis zur Reife zu denken. Doch es
wurde nichts daraus. "Die Wüste ist neutral - ein elender
Standpunkt - sie trägt keine Verantwortung, lädt nicht ein,
warnt nicht, droht nicht, aber sie wartet eben."
Sand, Sand und nochmals Sand - die Existenzialisten
konnten nicht genug davon kriegen und stapften munter in die Sahara
hinein, bis sie etwas kirre im Kopf wieder zurückkamen. Dabei ist
der Flüssigkeitsverlust immens. Albert
Camus
lässt seinen Fremden
dann nur noch die "Zymbeln der Sonne" auf der Stirn fühlen
und hysterisch mit dem Revolver herumballern. Hugo
Ball
wiederum mußte für seine "Karawane" gar
nicht in den kleinen und großen Erg reisen. "Jolifanto bambla
ô falli bambla" - damit war alles gesagt, und wer noch Fragen
hatte, wurde am Ende des berühmten Dada-Gedichts mit einem apodiktischen
"ba - umf" ruhiggestellt. In den Roßbreiten
geht es halt etwas abgedreht zu. Arno
Schmidt
traf dort die Zentaurin Thalja, die es auf den Punkt brachte:
"Das's enorm heiß!".
Doch dann gibt es ja noch diejenigen, die sich ganz
wohl fühlen, wenn "Sinnend ruht des Tags Gewühle / In
der dunkelblauen Schwüle". Tausend Meilen entfernt von jeder
bewohnten Gegend geriet Antoine
de Saint-Exupéry
geradezu ins Schwärmen über die
Wonnen der schweißtreibenden Weltenflucht. Mit dem Kleinen
Prinzen
" war er ja auch dem richtigen Gesprächspartner
begegnet: "Ich habe die Wüste immer geliebt. Man setzt sich
auf eine Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Und
währenddessen strahlt etwas in der Stille."
Helden, zu denen sich der fliegende Saint-Ex wohl
zählte, schwitzen nie. Auch Kara Ben Nemsi fand immer rechtzeitig
ein Schattenplätzchen am Wasserloch, um das sächsische Haupt
zu kühlen. Und Lawrence von
Arabien
notierte auf seinem Ritt durch die Wüste Nefud: "Ermunternd
war es auch, wenn die salzigen Schweißtropfen die Haarsträhnen
herunter einer nach dem andern über meine Stirn rannen und wie
Eiswasser auf meine Wange fielen."
Der Brite, wenn auch gerbrot nach längerer Sonnenbestrahlung,
war in den goldenen Tagen des Empires noch tropentauglich. Stoisch nahm
George Orwell
in Burma
die Hitze hin, als er noch Offizier der Kaiserlich Indischen Polizei
war: "Es ging jetzt auf zehn und war unerträglich heiß.
Flache, klare Schweißtropfen standen auf allen Gesichtern und
auf den nackten Unterarmen der Männer. Auf dem Rücken von
Mr. Macgregors seidenem Sakko wurde ein feuchter Fleck immer größer.
Die Glut draußen schien irgendwie durch die grünjalousierten
Fenster hereinzusickern und verursachte Augenschmerzen und eine Dumpfheit
im Kopf. Dann begann die böse Zeit des Tages, von der die Burmanen
sagen, 'wenn die Füße stumm werden.'" Orwell hatte nach
fünf Jahren Dienst nicht nur von seinem gargekochten Gehapparat,
sondern auch vom Kolonialismus die Nase voll und beschloß, Schriftsteller
zu werden.
Als solcher traf Giorgio
Manganelli
in Indien
schon ein. Leicht absurd kam sich der beleibte Mailänder Professor
vor auf dem Flug von Goa nach Trivandrum, "eine Situation, die
weder dem Wesen eines Professors noch eines Mailänders noch eines
Dicken entspricht", wie er in seinem Reisebericht festhält.
Bei der Landung ahnt er bereits, was ihn erwartet: "Die Tropen:
dicht gedrängte schmachtende Palmen, Wälder, Flüsse mit
trüben, ausgeweiteten Mündungen. Hitzedunst schwappt zwischen
dem Meer und den Baumflächen hin und her. [...] Das sind die echten,
die tropischen Tropen." Tapfer reist Manganelli weiter, klagt über
seine erschlafften Beine und generell über "das Innenfutter,
die Seele, welche leidet". Etwas benebelt von einer Tempeltour
bei Madras wird es dem alten Surrealisten schließlich zu viel:
"Kann man sich einen Körper ausziehen, der plötzlich
um viele Nummern zu eng geworden ist?"
Hierzulande lässt sich das alles von einem Rattanstuhl
aus verfolgen, mit einem Glas Eistee auf dem Beistelltisch und über
dem Kopf ein Deckenrotor, der flap-flap-flap macht. Dann bleiben nicht
einmal die Finger an den Buchseiten kleben. Adalbert
Stifter
mußte dagegen noch ohne Ventilatoren auskommen. Entsprechend
einsilbig läßt er seinen Abdias
durch die Wüste ziehen: "Er sagte nichts, und die Zeit schleifte
so hin."