Agenten

Des Autors bester Freund (B2 Kultur)

Bild"Ich treffe mich jetzt mit meinem Agenten" – das klingt mondän, weltläufig, bedeutend. Da schwingt ein Hauch von Hollywood mit, aber auch von Konspiration, von verdeckten und wahrscheinlich höchst einträglichen Geschäften. Im hiesigen Literaturbetrieb war dieser Satz bis vor ein paar Jahren selten zu hören. Er beschränkte sich auf Film und Fernsehen, aufs so genannte Showbusiness, in dem seit einer halben Ewigkeit Agenten dafür zuständig sind, Künstlern Engagements zu verschaffen. Und wie so oft war es das Showbiz, dass den Nimbus des Agenten überhaupt erst in die Welt setzte. Seit Billy Wilders Komödie "Manche mögen's heiß" schreibt man diesen umtriebigen Mittelsmännern übermenschliche Fähigkeiten zu. Zwei arbeitslose Jazzmusiker, gespielt von Tony Curtis und Jack Lemmon, kommen da durch ihren Agenten bei einer Frauenband unter. Falsche Wimpern, hochhackige Schuhe und Fistelstimme reichen schon aus, um sich als "Josephine" und "Daphne" an die Marktlage anzupassen. Das Engagement in Florida ist für die beiden lebenswichtig, denn es ermöglicht ihnen die Flucht vor einem Chicagoer Gangsterboss. Ohne ihren Agenten wären sie aufgeschmissen.

Das Beispiel von Josephine und Daphne lässt sich ohne weiteres auf den Literaturbetrieb übertragen. Die beiden Musiker sind recht geschickt am Bass und Saxophon, aber sie haben wie die meisten Künstler wenig Ahnung von der kommerziellen Seite ihres Berufs. Dagegen kennt ihr Agent die Regeln des Geschäfts. Er hat die nötigen Kontakte, die er sich nicht nur über Jahre erarbeitet hat, sondern auch regelmäßig pflegt. Er weiß seine Klienten richtig einzuschätzen, gibt ihnen vielleicht sogar Tipps, damit sie ihre Fähigkeiten besser zur Geltung bringen. Und er macht hin und wieder einen unkonventionellen Vorschlag, um das Produkt, das er vermittelt, für die ständig wechselnde Nachfrage des Marktes attraktiv zu halten. Schließlich handelt er Honorare aus, an denen er mit der branchenüblichen Provision von 15 Prozent beteiligt ist. Sein Salär ist normalerweise erfolgsgebunden. Das macht ihn zu einer wichtigen Vertrauensperson, vielleicht zur einzigen, die ein Schriftsteller im Haifischbecken Literaturbetrieb hat. Der Agent ist alles mögliche in einem: Insider, Drahtzieher und Makler, Therapeut, Schlichter und Watschenmann, Partner, Anwalt und manchmal sogar Freund. Ohne seinen Agenten wäre ein Schriftsteller – wir hörten es schon – aufgeschmissen. Zumindest würde er sich so fühlen.

Seit etwa zehn Jahren wächst die Zahl der Literaturagenten im deutschsprachigen Raum stetig. Inzwischen schließen Agenten über 60 Prozent aller Verträge. Warum erst jetzt, fragt man sich da, denn der Engländer Alexander Pollok Watts gründete schon 1873 die erste Literary Agency. Zu seinen Schützlingen gehörte unter anderem Rudyard Kipling, dessen "Dschungelbuch" ein wahrer Longseller wurde. Doch hier zu Lande vernahm man erst in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Lockruf des Geldes. Aus den USA, wo Agenten seit Jahrzehnten eine Schlüsselposition zwischen Verlagen und Autoren einnehmen, drang die Kunde von millionenschweren Abschlüssen. Amerikanische Erfolgsautoren wie Stephen King begannen die Verlage zu wechseln wie ihre Oberhemden. Kunststück, denn mit den eingängigen, international gut verkäuflichen Büchern vieler angloamerikanischer Autoren sind weltweit hohe Einnahmen zu erzielen. Dabei fiel immer schon genug ab, um auch Agenten ihr Einkommen zu sichern. Im Gegenzug setzten die Agenten für ihre Autoren Honorare durch, die der globalisierten Marktlage Rechnung trugen. Und da man in den USA noch nie Probleme damit hatte, Literatur als Ware zu behandeln, regte sich niemand groß auf.

Anders in Deutschland. Hier kam es zwar auch zu einer Kommerzialisierung des Buchmarkts, aber sie wurde so missträuisch beäugt wie ein falscher Fünfziger. Als Autoren wie Patrick Süskind internationale Erfolge feierten, konnten sich mancher Feuilletonist erst über den Umweg der Postmoderne-Debatte daran gewöhnen, dass sich auch mit guter Literatur viel Geld verdienen lässt. Die beherrschenden Figuren des Literaturbetriebs pflegten den Kult vom schöpferischen Verhältnis, das zwischen dem schwierig-sensiblen Autor und seinem patriarchalisch-selbstlosen Verleger bestehe. Das schnöde Geld spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle. Ein Agent könne solch intime Geistesbündnisse nur stören.

Diese Mär traf jedoch nur auf ganz wenige Vertreter der Höhenkammliteratur zu – zum Beispiel auf Thomas Bernhard und sein legendäres Verhältnis zu Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld. Die bildungsbürgerliche Attitüde dieses Kultes, der auf die überkommene Beziehung zwischen Künstler und Mäzen zurückgeht, ist ohnehin passé. Spätestens seit dem Erfolg der auflagenstarken Popliteratur wollte eine neue Autorengeneration auch von ihren Büchern leben können, ohne einem lästigen Brotberuf nachgehen zu müssen. Da der Preis für ein bestsellerfähiges Manuskript inzwischen in exorbitante Höhen gestiegen war, hatte dieser Anspruch eine gewisse Berechtigung. Mit Hilfe von Agenten ließ er sich auf dem Höhepunkt der New Economy auch durchsetzen: Telefonauktionen, an denen gleich mehrere interessierte Verlage teilnahmen, erzielten Preise jenseits der 100.000-Mark-Grenze. Jungstars wie Benjamin Lebert strichen sogar Vorschüsse in Millionenhöhe ein.

Eine Reihe bekannter Verlagshäuser gehört inzwischen zu Medienkonzernen, bei denen Autoren ganz nüchtern als "Content Provider" gelten. Sie liefern den Inhalt für ein Produkt mit verlängerter Wertschöpfungskette, man denke nur an Hörbücher und Verfilmungsrechte. Die Buchbranche, in der Vergangenheit vielfach idealisiert, ist in der Marktwirtschaft angekommen. Und obwohl der Begriff "Content Provider" vergleichsweise seelenlos klingt, gibt er doch die veränderte Stellung eines Autors wieder. In Aussehen und Auftreten erinnern viele Schriftsteller mittlerweile an Geschäftsleute: Michael Crichton wirbt auf Plakaten mit Schlips und Businessanzug für seine Werke. In der Hochphase der Popliteratur traten Autoren wie Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre sogar als Werbeträger für literaturfremde Wirtschaftszweige auf und posierten als Models für eine Herrenbekleidungskette.

Die Diversifizierung des Literaturbetriebs erstreckte sich auch auf die Verlage. Viele investierten vermehrt in Manuskripte deutschsprachiger Autoren, statt überteuerte Dutzendware aus Amerika einzukaufen. Lektoratsstellen wurden entweder ganz eingespart oder stärker auf Management und Verwaltung ausgerichtet, immer mehr Aufgabenbereiche wurden ausgelagert. Die Annahme, dass es in dem Verhältnis zwischen Autor und Verleger für die vehement in den Markt drängenden Literaturagenten keinen Platz gebe, erwies sich als falsch. Im Gegenteil: Es entstand ein regelrechter Bedarf für seriös arbeitende Agenten und ihre vielförmigen Dienstleistungen. Dazu gehört eine Art Vor-Lektorat, im Laufe dessen Manuskripte vor allem von Debütanten überhaupt erst in Form gebracht werden. Viele Agenten sind denn auch ehemalige Lektoren, die sich selbständig gemacht haben und über einige Erfahrung in Sachen Projektentwicklung verfügen. Zusammen mit ihren Autoren arbeiten sie Strategien aus, wie sich Image und Profil ihres gemeinsamen Marke schärfen lassen. In Vertragsverhandlungen, die manchmal zu einer eiskalten Zockerei ausarten, bringen sie wirtschaftliche und juristische Komptenzen ein und fungieren nicht selten als emotionale Pufferzone. Sie kümmern sich sogar um Auslandslizenzen und wie die ehemalige S. Fischer-Lektorin Petra Eggers, die Benjamin Lebert nach Amerika brachte.

Kurz gesagt sind Agenten Teil eines Out-Sourcing-Prozesses, der längst auch den Literaturbetrieb erfasst hat. Dennoch galten sie bis vor kurzem als gewissenlose Preistreiber, die nur aufs schnelle Geld aus seien. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe schwarzer Schafe, die ihre Autoren an den meistbietenden Verlag verhökern ohne Rücksicht, ob die beiden zusammenpassen oder nicht. Manch einer hechelt selbst dem kurzlebigsten Trend hinterher und arbeitet mit Feilschmethoden, die an das Gebaren von Gebrauchtwagenverkäufern erinnern. Keine Frage: Literaturagenten verteuern das Geschäft, weshalb ihnen von seiten der deutschen Verlage eine Art Hassliebe entgegenschlägt.

Ihr Eintritt in den Buchmarkt ist aber nicht mehr rückgängig zu machen. Inzwischen kommt es eher – wie in anderen Wirtschaftszweigen auch – zu einer Marktbereinigung, in deren Zuge sich die Spreu vom Weizen scheidet. Nach dem Crash im Sommer 2002, als der Börsenverein des Deutschen Buchhandels enorme Umsatzrückgänge meldete, sind Start-Gagen und damit auch die Agentenprovisionen wieder auf ein normales Maß geschrumpft. Vorbei der Boom der Popliteratur, das deutsche Fräuleinwunder und der allgemeine Debütanten-Hype. Insgesamt hat sich das Preisniveau für deutschsprachige Manuskripte zwar auf einem deutlich höheren Niveau als noch vor zehn Jahren eingependelt. Aber die Spekulationsblase um konsumfreundliche Jungschreiber, die neue Leserpotenziale erschließen, ist nichts zuletzt wegen der allgemeinen Konjunkturflaute geplatzt.

Das ist nicht nur heilsam für die deutsche Literatur, die vermehrt ernstere Themen aufgreift und sich kaum mehr in zeitgeistigen Adoleszenz-Arien ergeht. Ähnlich wie die Verlage, die wieder darauf setzen, Hausautoren über Jahre hinweg aufzubauen, wäre es auch für Agenten fatal, sich ausschließlich als Durchlauferhitzer der Branche zu verstehen. Die guten unter ihnen versuchen ihre Autoren mit Hilfe eines gründlichen Lektorats zu etablieren, ohne jedoch neue Talente aus den Augen zu verlieren. Denn obwohl die Zeiten rauer und die Honorare realistischer geworden sind, werden nach wie vor erstaunlich viele literarische Neuerscheinungen publiziert. Manch ein Debüt mag darunter sein, das zum Bestseller avanciert. Es zu entdecken und zu fördern, ist gleichermaßen Aufgabe der Verlage und der Agenten. Die Konkurrenz hat dem Geschäft nicht geschadet, sondern sie hat es entscheidend belebt.

Wenn man also derzeit irgendwo den Satz hört: "Ich treffe mich jetzt mit meinem Agenten" – dann ist sein Zauber vielleicht dahin. Vielleicht laufen im Literaturbetrieb auch nicht mehr so viele Josephines und Daphnes herum, die mit ein bisschen Rouge, geborgten Kleidern und durch die Vermittlung ihres Agenten das lebensrettende Engagement an Land ziehen. Aber für das Saxophon und den Bass in einer flotten Jazzband reicht das Arbeitsessen mit dem Agenten allemal.

Die Glosse wurde am 15.4.2003 vom Bayerischen Rundfunk gesendet.