Souvenirs

Glosse (B2 Kultur)

BildDie Frankfurter Skyline, der Münchener Olympiaturm oder einfach nur eine alte Burg auf einem Hügel – irgendein weithin sichtbares Zeichen steht immer in der Gegend herum, um uns bei der Rückkehr aus dem Urlaub zu bedeuten: Gleich sind wir wieder zuhause, in unserem Wohnort, in vertrauter Umgebung, daheim. Dieses Wort kann einen unterschiedlichen Klang haben. Wenn uns nach zwei verregneten Campingwochen am Gardasee erstmals wieder die Aussicht winkt, im Trockenen zu schlafen, klingt es wie der Inbegriff des Luxus. Wenn wir aber, und das sei hier einmal unterstellt, auf eine Fülle neuer Erfahrungen und Erlebnisse zurückblicken; wenn wir neben Blauwalen im Meer schwammen, den Amazonas rauf und runter schipperten und auf dem Gipfel des Zuckerhütl standen, dann klingt daheim wenig verlockend.

Und richtig: Unsere Heimatstadt hat in unserer Abwesenheit gar nicht daran gedacht, sich zu verändern. Die Mauern stehn, sprachlos und kalt, und der grauschwarze Himmel zieht einen Flunsch. Gleichgültig verhält sich die Welt gegen alle Ereignisse im Leben ihrer Bewohner. Ganz zu schweigen von dem mit Macht herandrängenden Montag, an dem wir in stiller Verzweiflung den Stapel auf unserem Schreibtisch beobachten und uns fragen, warum er nicht umfällt. Jede Rückkehr aus der Ferne ist ein kleiner Tod.

Es gibt zwar immer ein paar Idealisten, die zur Abwechslung mal versuchen, auch dem vermeintlich Vertrauten neue Reize abzugewinnen. Mit ein wenig Phantasie tun sie so, als stünden sie zum ersten Mal im Englischen Garten und spürten dort unvoreingenommen dem Landschaftsideal der Aufklärung nach. Dadurch lässt sich der Urlaub verlängern und die Tatsache verdrängen, dass wir die unmittelbare Umwelt in unserer Wahrnehmung auf ihre bare Funktion reduziert haben. Im Falle des Englischen Gartens wäre das zum Beispiel "Liegewiese" oder "Hundeklo". Aber lange währt die Illusion nicht. Auch wenn wir unsere Heimatstadt gerne mit anderen Augen sähen, wollen sich neue Reflexionen am Alltäglichen nicht mehr so recht entzünden. Der Monopteros bleibt eben ein hübsches Tempelchen, das Erinnerungen an eine Fahrt in den Süden wecken soll. Die Akropolis wird daraus nimmer mehr, und ein japanischer Shinto-Schrein schon gleich gar nicht. Selbst die Illusion der Illusion kommt nicht mehr vom Fleck.

Was tun wir also am Montagabend, wenn der Stapel auf dem Schreibtisch durch die geöffnete Post noch ein wenig höher geworden ist? Naheliegend wäre es jetzt, ein Buch aufzuschlagen und sich mit Hilfe der Reiseliteratur zumindest für ein paar Stunden davonzustehlen in die Ferne, die vor kurzem noch so nah war. Aber wir haben ja nicht mal unser Packerl Urlaubslektüre weggelesen, das wir so umsichtig eingepackt haben. Die Bücher sehen durch den Einfluss ausgelaufener Joghurtbecher und Sonnenöle zwar gelesen aus, aber das zählt nicht. Außerdem hält uns ihr Zustand davon ab, sie jetzt, post ferias, in die Hand zu nehmen. Viel geeigneter erscheinen uns da jene merkwürdigen Gegenstände, die unser aufgeblähter Koffer ausspuckt wie eine Auster mit Bauchweh: Souvenirs.

Erinnerungsstücke aus dem Urlaub, ob scheußlich oder poetisch, sind kurz nach der Ankunft noch nicht vollbesetzt mit Assoziationen. Neben den paar Gedanken, die wir bereits mit ihnen verbinden, ist noch jede Menge Platz für neue Sehnsüchte und Schwärmereien. Wenn wir zum Beispiel einen seltsam geformten Stein von der Algarve durch die Finger gleiten lassen, dann mögen wir einerseits mit Bedauern auf zwei Wochen Portugal zurückblicken. Andererseits stellen wir uns schon die nächste Küste vor, an der wir auf Steinesuche gehen. Wer Souvenirs betrachtet, zögert den Prozess des Ankommens hinaus. Das ist wie ein Jetlag ohne unangenehme Begleiterscheinungen, ein Niemandsland, in dem man herumstreunt, bis man sich wieder richtig zusammengesetzt fühlt.

Stück für Stück fördern wir dann Schätze zutage, die größtenteils Versuche darstellen, etwas zu konservieren. Das kann eine Stimmung sein, etwa das Freiheitsgefühl beim Wandern in einem schwedischen Nationalpark, symbolisiert durch eine Luftwurzel, die aussieht wie der Propeller von Karlsson auf dem Dach. Vielleicht möchte man einen Teil des jeweiligen Reiselandes nach Hause mitnehmen: einen indischen Sari oder eine ägyptische Galabeia, umbrische Trüffeln oder steirischen Schnaps. Oder man hat eine besondere Leistung vollbracht und bringt von der Bezwingung des Mont Blanc ein Gipfelfoto als Trophäe mit. Möglicherweise will man auch nur ein wenig angeben mit dem exotischen Urlaubsort und hängt sich eine polynesische Kaurimuschelkette um den Hals. Manche Wohnungseinrichtungen gleichen dann irgendwann einem Magazin für Ethnomöbel. Während man seinen Espresso aus bolivianischem Steingut trinkt und versucht, die Schriftzeichen auf der handgetriebenen mauretanischen Beistelltischplatte zu entziffern, versinkt man in einer Kissenlandschaft aus dem halben Orient.

Aber egal, ob es sich um Gegenstände aus der Natur, um Artefakte, Kleidung oder Nahrung handelt: Manchmal verblasst der Zauber von Souvenirs in Windeseile. Unter der heimischen Halogenlampe sieht die ostafrikanische Götzenmaske plötzlich so billig aus, wie sie in der Fabrikherstellung auch gewesen ist. Reisende Hobbygärtner können auf eine lange Reihe gescheiterter botanischer Experimente zurückblicken. Eine üppig wuchernde Bougainvillea verweigert in unserer Klimazone standhaft das Wachstum, und ganze Schulen von Oliven-, Zitronen- und Granatapfelbäumchen kümmern auf deutschen Blumenbänken vor sich hin. Auch der provençalische Landwein will einem nicht mehr so recht schmecken, wenn das impressionistische Licht und die sanfte Meeresbrise fehlen. Viele Souvenirimporte scheitern schon an den einfachsten Umweltbedingungen.

Es gibt ja ohnehin immer weniger Andenken, die einen Anspruch auf Unverwechselbarkeit erheben können. Das Meiste ist beliebig austauschbar und überall in der globalisierten Welt erwerbbar, am einfachsten über das Internet. Für einen original Schottenrock muss man nicht extra nach Edinburgh fahren, sondern braucht nur in eine der zahllosen Harrods-Filialen zu gehen, von denen es auf größeren Flughäfen gleich mehrere gibt. Die Kleidungsstücke sind aus Harris-Tweed gemacht, haben ein authentisches Tartanmuster und unterscheiden sich auch sonst nicht von vergleichbaren Erzeugnissen aus den Highlands. Natürlich ist ein Harrods-Schottenrock etwas anderes als der, den wir uns von einem "Kiltmaker" in Inverness maßschneidern lassen können. Aber die Tatsache, das man es letzterem nicht ansieht, schmälert die Freude an dem Souvenir.

Warum sich also aufhalten mit der umständlichen Suche nach einem seltenen, originellen, phantasievollen Erinnerungsstück, das sich mit ideellem Wert aufladen lässt wie der Akku eines Handys? Warum nicht gleich eine jener geschmacklosen Entsetzlichkeiten kaufen: den Fujiyama im Schüttelglas, ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Hard Rock Cafe", Manneken Pis als Tischspringbrunnen? Das wäre nicht nur praktisch und zeitsparend, sondern hätte auch den Reiz kultureller Unkorrektheit.

Die Antwort ist eine Frage des Selbstschutzes. Wenn wir so einen Krempel zuhause auspacken, befinden wir uns, wie bereits beschrieben, in einem labilen Zustand. Gefühle von Verlust, Vergänglichkeit, Wehmut nagen an dem durch die Ortsveränderung ohnehin schon fadenscheinig gewordenen Seelenkostüm. Und wenn dann noch die Erkenntnis über uns hereinbricht, dass uns nichts besseres eingefallen ist, als von unserer Russlandreise ein Giveaway der Moskauer McDonald's Filiale mitzubringen, dann ist die große Depression nicht mehr fern. Wir wiegen eine Pokemonfigur in der Hand und mit ihr all unsere Unzulänglichkeit und Einfallslosigkeit. Das Souvenir, das nicht einmal den Anschein erwecken will, ein Souvenir zu sein, stürzt uns in Selbstzweifel. Es erinnert uns nicht an Moskau, sondern an unsere innere Leere. Und das kann ja nun wirklich nicht Sinn der Sache sein.

Was also tun, wenn es kein vernünftiges Souvenir mehr zu kaufen gibt? Ganz einfach: Wir machen uns selber eines. Wichtig ist hierbei, den Anspruch nicht zu hoch anzusetzen. Die Zeiten von Goethe, da ein durchschnittlicher Italientourist noch in der Lage war, zu dichten, aquarellieren und komponieren, was das Zeug hielt, sind vorbei. Fangen wir lieber mit einer Kugelschreiberskizze der Basilius-Kathedrale an, um beim Beispiel Russland zu bleiben. Unsere Erlebnisse in der Moskauer Metro, wo man ganze Wochen verbringen kann, können wir stichpunktartig auf der Rückseite eines Stadtplans festhalten. Und die Ressourcen für ein exzentrisches Objet trouvé sind gerade in Russland grenzenlos. Die Tatsache, dass wir weder Dürer noch Fontane oder Kurt Schwitters sind, darf uns dabei nicht stören. Es ist nicht so wichtig, ob wir ein Souvenir mit künstlerischer Intention herstellen. In erster Linie soll es unseren sentimentalen Selbstgenuss ansprechen und die Heimkehr versüßen.

Diese Anforderungen erfüllt Kitsch per definitionem. Nur: So lange es Kitsch aus eigener Produktion ist, kann niemand etwas dagegen einwenden. Hauptsache, wir haben dem montäglichen Einerlei etwas Individuelles entgegenzusetzen. Vielleicht eine Ode auf den Zwiebelturm. Probieren Sie es aus!

Die Glosse wurde am 29.6.2003 vom Bayerischen Rundfunk gesendet.

© Thomas Kastura