Die
Zahl der erfolglosen, verkannten, missachteten Dichtergenies dieser
Welt ist Legion. Einsam werkeln sie in ihren Klausen vor sich hin, weit
ihrer Zeit voraus und allen schnelllebigen Moden abhold. Hoher Ton und
tiefes Empfinden mühen sich da im Stillen, wachsen und welken verborgen
vor den Augen der Menschen. Der Ruhm freilich, diese Stripperin mit
falschen Wimpern und dem Lächeln einer Hyäne, will und will
sich nicht einstellen. Und Geld schon gar nicht.
Vom Schicksal übergangen fahren sie schließlich in
die Grube, oft ungedruckt oder nur in schmaler Auflage eine Spur hinterlassend
auf dem Treidelpfad der Literaturgeschichte. Wenn eine entsprechende
Ruhefrist vergangen ist, schrecken die zuständigen Stellen dann
plötzlich auf: Hoppla, was war denn das, die, der? Hat da nicht
jemand dem Jahrhundert den Abdruck seiner Gestalt gezeigt? War da nicht
jemand der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters? Und
wir haben's wieder verpasst! Schuldbewusst wird dann der Schatz geborgen,
den zuvor keiner weglesen wollte. Finanziell profitieren davon nur noch
die traditionellerweise zerstrittenen Erben.
Da fragt man sich schon, warum sich bei Kleist, Hölderlin
und Co. nicht schon zu Lebzeiten der Erfolg einstellte. Einige Gründe
sind ja bekannt: Von den Fürsten verboten, von den Verwandten ausgelacht,
von den Kollegen weggebissen setzte sich manch einer in einen Turm und
schmollte. In die heutige Zeit passen solche Karriereverweigerer allerdings
nicht mehr. Denn seit moderne Marketing-Methoden allgemein zugänglich
sind, ist jeder seines Glückes Schmied. Selbständigkeit heißt
die Ultima Ratio des neuen Jahrtausends.
Das wichtigste für einen Dichter, der sich selbst vermarktet,
ist natürlich ein peppiger Werbeslogan, der nicht mehr Slogan,
sondern Claim heißt, wie uns Frédéric Beigbeder
in "39,90" aufgeklärt hat. An der richtigen Stelle der
"Allgemeinen Literatur-Zeitung" oder des "Morgenblatts
für gebildete Stände" hätte eine flotte Baseline
vielleicht ungeahnte Werbekräfte entfaltet. Zum Beispiel Klopstock:
Die ersten Gesänge seines Messias
erschienen in den "Bremer Beiträgen". Ein selbstbewusstes
Motto im Inhaltsverzeichnis hätte das Heldengedicht gleich ins
rechte Licht gerückt, etwa: "Klopstock - erhaben und lang!".
Für den Vertrieb der Kopenhagener Ausgabe von 1755 wäre dann
folgende Sentenz denkbar gewesen: "Perfektum fantasticum - oder
warum Klopstock so mes-sianisch erhebt".
Doch Klopstock mauserte sich nach gewissen Startschwierigkeiten
zum Spitzenverdiener. Schon sein Name hatte etwas kompromissloses, unwiderstehliches.
Werthers Lotte machte ihn mit dem berühmten Ausruf "Klopstock!"
zum Branding des großen Gefühls. "Product-Placement"
nennt man diese Form der Reklame, die sich in der Literatur aber nicht
richtig durchgesetzt hat. Auch Goethe ging damit sparsam um. Nachdem
ihm bei der Iphigenie
die Abhandlung "Versuch einer deutschen Prosodie" zustatten
gekommen war, hätte er dem Verfasser Karl Philipp Moritz ja einen
Freundschaftsdienst erweisen können. Ein wohlwollender Vierzeiler
in der Schlussszene, als Iphigenie von Thoas Abschied nimmt, hätte
Wunder gewirkt:
Der
unterdrückte Mensch verschenkt ihn gern,
Den Anton
Reiser
von des Moritz' Feder
Allein euch leg ich dies Buch ans Herz! Wenn
Ihr belesen seid, wie ihr gepriesen werdet.
Bekanntlich guckte Moritz in die Röhre. Auch Hölderlin,
der Empfehlungen und vor allem gute Kritiken bitter nötig gehabt
hätte, biss beim Geheimrat auf Granit. Um die Gunst der Opinion
Leader zu gewinnen, muss man sich eben etwas besonderes einfallen lassen.
So hätte man den gestrengen Herren, die ja nicht unempfänglich
sind für freundliche Gaben, eine exquisite Gedichtauswahl
schicken können; beiliegend eine Schachtel Konfekt für die
Frau Gemahlin mit der Aufschrift "Hölderlin - die zarteste
Nuance von Diotima". Leider war Schokolade am Anfang des 19. Jahrhunderts
ein ziemlich kostspieliges Werbegeschenk. Günstiger wäre der
"Hölder" mit ein paar Flaschen Rotwein gefahren, die
er während seines Bordeaux-Aufenthalts billig hätte erwerben
können. Auf dem selbstgestalteten Etikett wäre dann der Zusatz
gestanden: "Hölderlin - so heilignüchtern wie das Universum.
Da werden Romantikerträume wahr!"
Viele Claims sind vorstellbar, um Verleger, Subskribenten und
Publikum für qualitätvolle Dichtung einzunehmen. Da wäre
die dramatisch-spröde Variante: "Zerbrechen im Krug der Zeit:
Kleist, rechtschaffen und entsetzlich". Oder, in zeitloser Schlichtheit:
"Woyzeck - Ekstase in Moll!" Gute Werbung behält außerdem
immer die Recall-Werte bei der Zielgruppe im Auge. Bei Adalbert Stifter
sind dies - nach Meinung von Thomas Bernhard - die österreichischen
Lehrer und Nonnen, die Stifter als Kunstikone neben ihrem Kamm und ihrer
Zehenschere auf dem Nachtkästchen liegen haben. Wenn Stifters Verleger
Heckenast zu einer ähnlich scharfsinnigen Analyse gelangt wäre,
hätte er in der "Gartenlaube" folgende Anzeige schalten
können: "Im siebten Himmel. Mit Stifter. Ein nachsommerliches
Vergnügen."
Im 20. Jahrhundert reichen solche Bagatellformen der Publicity
freilich nicht mehr aus, um Furore zu machen. Ohne die Zugehörigkeit
zu einer mehr oder weniger einflussreichen Produktfamilie hatten es
viele Schriftsteller schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Da musste man sich schon skandalöse Aktionen ausdenken wie Peter
Handke mit seinem berühmten Stotterauftritt vor der Gruppe 47 oder
Rainald Goetz mit seiner Stirnschlitzernummer beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb.
Kurz nachdem Handke seine Dichterbeschimpfung anno 66 vom Stapel
ließ, starb sein Landsmann Heimito von Doderer. Dessen voluminöses
Werk wurde lange Zeit hartnäckig ignoriert. Erst Die
Strudlhofstiege
brachte ihm 1951 den ersehnten Durchbruch. Um ein
für alle Fall in die Ahnenreihe der großen Selbstdarsteller
einzugehen, hätte Doderer im Wiener 9. Bezirk ein kleines Happening
veranstalten können. Denken wir uns folgende Spielszene: Doderer
peitscht eine ebenso willige wie füllige Dame die tatsächliche
Strudlhofstiege, die im Zickzack vom Alsergrund zur Währinger Straße
emporführt, mit einem "Leibriemen" bzw. Herrengürtel
hinauf. Zugegebenermaßen eine etwas absurde Vorstellung, die aber
nicht nur den Wiener Aktionismus vorweggenommen, sondern auch Einblicke
in Doderers Privatleben gegeben hätte. Seine exzentrischen Liebesbeweise
pflegte er mit dem Tagebucheintrag "m.e." zu beenden, was
so viel hieß wie "martyrium excellente". Das hätte
auch einen guten Claim abgegeben, das Markenprofil geschärft, den
Impact erhöht.
Doch inzwischen sind auch die Tage des erfolgsfördernden
Eklats gezählt. Versuche von Schriftstellern, in der Öffentlichkeit
die Hosen runter zu lassen, werden so milde belächelt wie ein Exhibitionist
im Fußballstadion. Nachwuchsautoren können sich da bestenfalls
nach Sponsoren umsehen. Das sähe dann folgendermaßen aus:
Auf Literatur-Slams tragen die Akteure Markenkleidung von Tommy Hilfiger,
nippen an Energy-Drinks von Red-Bull und rezitieren aus einem Snowboard-Roman,
den Rossignol in Auftrag gegeben hat. Unterlegt mit einem eingängigen
Rave ertönt dann die schöne Weise: "Sing, unsterbliche
Seele, des verkannten Dichters Erlösung!" Und das Publikum
ruft im Takt: "Klopstock
!"
Die Glosse wurde am 2.5.1999 vom Bayerischen Rundfunk gesendet.
© Thomas Kastura