Patricia Melo: O Matador
"Ich
kann Schuhe verkaufen, Kartoffeln schälen, alles mögliche.
Scheiß drauf. Ich kann auch töten. Töten ist leicht,
du nimmst einen Revolver, drückst auf den Abzug und fertig, eine
einfache Handbewegung. Schwierig ist das Sterben."
Im Leben ist Kaltblütigkeit abstoßend. In Romanen
hat sie eine eigene Faszination. Das muß wohl daran liegen, daß
im Leben kaltblütige Menschen eher simpel gestrickt sind. Außerdem
haben sie keinen Humor, geschweige denn Selbstironie.
In Krimis und Thrillern ist das anders: Kaltblütigkeit gilt
da als Kaltschnäuzigkeit, und die gehört ebenso zum Rüstzeug
der Aufklärer und Aufräumer wie zynischer Witz. Beides dient
als Schutzschild gegen eine feindliche, aus den Fugen geratene Welt.
In
den 90er Jahren sind nicht mehr Detektive die Helden, sondern Kriminelle,
die sich um Gesetz und Moral gar nicht erst scheren. Auch Máiquel
gehört dazu, ein blondgefärbter Verlierertyp aus dem Subproletariat
von São Paulo. Er ist "O Matador", "Der Killer".
Patrícia Melo machte für den Roman zwei Jahre lang Feldstudien
im Gefängnis - es hat sich ausgezahlt.
Mit "Pulp Fiction à la brasileira" wird das
künftige Kultbuch beworben. Das trifft nur teilweise zu. Gemeinsam
haben der Tarantino-Film und "O Matador" das Gewerbe, in dem
man Menschen umbringt, die dazu passenden sarkastisch-derben Kommentare
und die Suche nach ein bißchen Glück. Ansonsten gibt es wenig
Ähnlichkeit mit dem postmodernen Zitatenkunststück.
Máiquels erster Mord ist ein Zufall, eine Affekthandlung.
Weil das Opfer ein bekannter Vergewaltiger und Erpresser war, kommt
es zu keiner Verhaftung, im Gegenteil: Einer, dessen Leben daraus besteht,
"Scheiße zu bauen und sich dafür zu entschuldigen",
kriegt plötzlich Fanpost und erntet zum ersten Mal Anerkennung.
Und das geht weiter so. Der Arzt Dr. Carvalho, bei dem sich Máiquel
die Zähne richten läßt, wird sein Auftraggeber: Kopf
eines obskuren Zirkels, der den Strafvollzug in die eigenen Hände
nimmt. Der Killer hat Erfolg und steigt in jene besseren Kreise auf,
für die er die Drecksarbeit macht. Lohn des ersten Jobs: ein neues
Gebiß.
Máiquels Motivation ist seine Wut und seine Ohnmacht:
"Gott denkt nur dann an den Menschen, wenn er entscheiden muß,
wie er ihn fertigmachen wird." Er nimmt Rache an der Welt, die
nur Spott und Mitleid für ihn übrig hat, und fühlt sich
bei dem dritten Kill richtig gut: "Ich bring dich um, du Hurensohn,
ich mach dich alle, denn von jetzt an bin ich der Killer. Ich bin der
Zaun, der Hund, die Mauer, die scharfe Glasscherbe. Ich bin der Stacheldraht,
die gepanzerte Tür. Ich bin der Killer. Peng, Peng, Peng."
In eine Spirale von Gewalt, Macht und Geld läßt Melo
ihren Helden hineingeraten, der ausmerzt, was sich für ihn an Liebe
und Glück ergibt. Die bürgerliche Ehefrau erwürgt er,
als sie ihn zu bevormunden beginnt. Die Geliebte Èrica, Freundin
seines ersten Opfers, läuft ihm weg, weil sie religiös und
der "Matador" ein Monster geworden ist.
Der Roman ist voller grotesker Elemente. Máiquel legt
zum Beispiel eine Art Werbemappe an, in dem er die Zeitungsartikel über
seine Missionen aufbewahrt. Er gründet einen florierenden "Sicherheitsdienst",
der in Wahrheit eine meuchelnde Schutzgeldtruppe ist und unter der Protektion
eines korrupten Kommissars steht. Für seine Verdienste um den Landfrieden
wird er von einem Country Club zum "Bürger des Jahres"
ernannt.
Irgendwann bringt Máiquel aus Versehen den Falschen um:
keinen "Schädling" der Gesellschaft, sondern ein skateboardendes
Wohlstandskid. Sturzbetrunken schreibt er mit dem Blut des Opfers "Es
lebe die Zukunft!" auf die Straße. "Dieser Satz, dieser
entsetzliche, grauenvolle Satz, hatte die Bevölkerung empört."
Die Killerkarriere ist vorbei.
Máiquel, für seine reichen Hintermänner untragbar
und als Zeuge gefährlich geworden, wird inhaftiert. Da er nunmehr
selbst auf der schwarzen Liste steht, schmiert er die Wachen und flieht.
Konsequenterweise sind jetzt die an der Reihe, die ihn verraten haben.
Wieder fließt reichlich Blut.
Doch der Showdown bleibt aus. "Das Haus ist umstellt, Sie
haben keine Chance" - dieser Hollywood-(Trug)-Schluß, das
schlimme gute Ende, das die Welt wieder ins Lot bringt, existiert nur
als Vorahnung, als Wahnvorstellung des in die Enge getriebenen Killers.
Hart und intensiv ist dieser Roman. Man denkt, er könne
sich nur in Brasilien zutragen, wo die Leidenschaften brutaler ausgefochten
werden als anderswo. Patrícia Melo, zwei Jahre älter als
Tarantino, beherrscht ihre Register, vom wilden Action-Stakkato bis
zu coolen Untergeher-Monologen. Den Ich-Erzähler entwickelt sie
so, daß man zumindest anfangs Sympathie für ihn empfindet.
Melo zeigt aber auch, wie der Zorn des jungen Wilden zu Haß
wird, wie Träume in Alpträume, gute Vorsätze in Tobsuchtsanfälle
umschlagen, und daß es nur ein kleiner Schritt ist von Kaltschnäuzigkeit
zu Kaltblütigkeit. Die schicke Mischung aus Gewalt und Humor mündet
unversehens in eine Selbstjustizorgie à la "Taxi Driver".
Sie sagt viel aus über die Psyche derer, die immer zu kurz kommen
und von niemandem gebraucht werden, die sich behaupten und verkaufen
müssen, die den verqueren Ritualen einer Männergesellschaft
huldigen und sie innerlich doch verachten.
Máiquel, der an eine der getriebenen Pasolini-Figuren
erinnert, hat kein besonderes Talent fürs Töten, im Grunde
ist er ein Dilettant. Aber: "Niemand lernt, wie man tötet.
Jeder kommt auf die Welt und weiß, wie's geht. Wenn du eine Waffe
in der Hand hast, dann isses das, dann weißt du schon alles."
Schnell ist man da mit Ulrich Horstmanns Philosophie vom "Untier"
Mensch bei der Hand. Tatsächlich favorisiert Máiquels hinkender
Auftraggeber Dr. Carvalho die Todesstrafe und die Theorie vom geborenen
Verbrecher. Carvalho (zu deutsch "Eiche", der Baum der strafenden
Götter) bedient sich Máiquel, um "unwertes Leben"
zu tilgen. Er ist der Richter, vor dessen Thron der Erzengel mit der
amerikanisierten Namensversion von "Michael" die Verstorbenen
geleitet.
St. Michael, der Volksheilige, und Máiquel, der Volksheld,
bekämpfen beide das Böse. Nur wechselt Máiquel, auf
dem Höhepunkt seiner Popularität ganz in himmlisches Weiß
gekleidet, die Fronten. Als Teufel wendet er sich am Ende gegen Carvalho.
Damit ist er der Vollstrecker: nicht einer höheren Gerechtigkeit,
sondern der Horstmann-These von der fundamentalen Prägung des Men-schen
zum Gattungssuizid.
Solch ein "Untier" unter "Untieren" darf
auf den letzten Seiten des Buches nicht sterben. Denn noch ist viel
zu tun für den heiligen Auslöscher, auch wenn er etwas paranoid
geworden ist. Máiquel verkriecht sich in "ein Loch, bis
die Kälte vorbei wäre, bis es Zeit wäre, rauszukommen."
©
Thomas Kastura
Die Rezension erschien unter dem Titel
"Kaltschnäuzigkeit als Kaltblütigkeit" im Fränkischen
Tag vom 31.12.1997.
Patrícia Melo: O Matador. Roman.
Aus dem Brasilianischen von Barbara Mesquita.
München: dtv 1999. 259 Seiten. 8,64 €
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