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Karen Duve: Die entführte Prinzessin

"Es war einmal ein Königreich, das hieß Snögglinduralthorma oder so ähnlich, genau weiß das heute keiner mehr." Karen Duves neuer Roman beginnt klassisch und parodistisch zugleich, womit seine wesentlichen Vorzüge bereits benannt sind. Denn die Autorin fühlt sich in beiden Welten wohl, im Märchen, einem der wirkmächtigsten Traditionsstränge epischer Dichtung, und in der Parodie, deren beste Exemplare immer auch hohen eigenen Gestaltungswert besitzen.

Anders formuliert: Dieses Buch ist intelligent, spannend und humorvoll geschrieben, und es lässt sich mit großem Vergnügen lesen. Der Stoff ist phantastisch: Die wunderschöne, aber bettelarme Prinzessin Lisvana soll verheiratet werden. Zu diesem Zweck reist der reiche Prinz Diego, ein gelangweilter Prince Charming, ins unwirtliche Nordland. Er verliebt sich Hals über Kopf in Lisvana, doch der mittellose Ritter Bredur stellt ihm buchstäblich ein Bein. Da auch die jeweiligen Elternteile dazwischenfunken und die Prinzessin einen ganz eigenen Kopf hat, kommt es zu einer Entführung und zahlreichen weiteren Verwicklungen.

In deren Verlauf lernen alle Beteiligten eine Menge hinzu, sie reifen zu modernen Persönlichkeiten. Modern deshalb, weil Karen Duve ihre Figuren Ernst nimmt und sie mit realistischen Motiven und Verhaltensweisen ausstattet. Die drei Hauptakteure müssen falschen Stolz, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle überwinden. Darüber hinaus gilt es, einem archaischen Ehrbegriff und der Geschlechtertrennung ein Schnippchen zu schlagen. Dieses Märchen ist sicher "Fantasy", vor allem aber ein Ritterroman mit einer in die Gegenwart versetzten Bildungsthematik. Ein pubertierender Drache spielt auch eine Rolle, ebenso ein selbstsüchtiger Zauberer und ein Zwerg mit Popstar-Allüren.

Karen Duve geht mit den gängigen Genreelementen heiter-ironisch, doch niemals respektlos um. Auch die Sprache wechselt zwischen einem hohen Aventiuren-Ton und gezielten Schnoddrigkeiten – "Lisvana vom Nordland, war das nicht die mit der popeligen Mitgift?". Eine ähnliche Mischung kennt man aus den "Shrek"-Filmen und anderen zeitgenössischen Märchenadaptionen. In Deutschland tat man sich lange schwer, dramatische Erzählstoffe mit der Kunst der Anspielung zu verbinden. Als würde das ironische Spiel mit Rollenmodellen, Handlungsmustern und Publikumserwartungen eine Geschichte herabmindern und unrettbar ins Lächerliche ziehen.

Karen Duve gelingt diese Gratwanderung ganz vorzüglich, ihre erkennbare Freude am Fabulieren überträgt sich auf den Leser. Die Autorin von "Regenroman" und "Dies ist kein Liebeslied" versteht ihren Ausflug ins Reich der Märchen als Fluchtversuch vor ihrem sonst eher fatalistisch eingefärbten Werk. Virginia Woolf sagte Ähnliches über den Roman "Orlando", der dann ihr größter Erfolg wurde. Und selbst an ihrem berühmtesten Vorgänger kann sich Karen Duve messen: So stieg "Der sinnreiche Junker Don Quijote de la Mancha", jene Erzparodie des Ritterromans, zum Paradigma seines Genres auf. Auch Cervantes hatte seinen Spaß an der komischen Verzerrung der Verhältnisse. Trotzdem verlor der Ritter von der traurigen Gestalt nie seine Ideale aus dem Blick. "Die entführte Prinzessin" handelt von der wahren Liebe. Und die muss lange leiden, bis Erfüllung naht.

© Thomas Kastura



Die Rezension erschien unter dem Titel "Die Bettelprinzessin" im Rheinischen Merkur vom 17.3.2005

Karen Duve: Die entführte Prinzessin. Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern.
Frankfurt a. M.: Eichborn Berlin 2005. 396 Seiten. 24,90 €


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