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Virginie Despentes: Teen Spirit

Einen dieser Typen hat man mindestens im Bekanntenkreis: zynische Aussteiger, die mit der bösen Welt da draußen längst fertig sind, kindgebliebene Misanthropen, die an allen möglichen Komplexen und Phobien laborieren, ehemals talentierte Literaten, die den großen Roman seit Jahren im Kopf haben – aber eben nur da.

Biedermeierliche Alt-Punks gibt es in jeder Generation. Momentan sind die Thirtysomethings an der Reihe, Post-78-er, die von den pragmatischen Neunzigern regelrecht überrollt wurden. Niemand kann mag sie recht leiden, sie sich selber schon gar nicht. Dennoch hat Virginie Despentes so einen zum Ich-Erzähler und Hauptfigur ihres neuen Buches gemacht. Seit einer Panikattacke in der U-Bahn geht Bruno nicht mehr aus dem Haus. Er kifft vor dem Fernseher und liegt seiner Freundin auf der Tasche.

Das ändert sich abrupt, als seine ehemalige Flamme Alice vor der Tür steht und ihm eröffnet, dass sie eine gemeinsame Tochter haben. Nancy ist süße Dreizehn und will ihren totgeschwiegenen Papa endlich kennenlernen – worauf sich Papa am Riemen reißt und sein Leben Schritt für Schritt auf die Reihe kriegt. Indem er Verantwortung für seine pubertierende Tochter übernimmt, findet er zu sich selbst. Die Liebe sprengt den Schutzpanzer des Bürgerschrecks und macht ihn – warum nicht? – zu einem besseren Menschen, der Nancy vor dem Absturz bewahrt.

"Teen Spirit" ist ein heiterer Entwicklungsroman und zugleich eine hellsichtige Sozialkritik. Ein wenig erinnert Bruno an Virginie Despentes selbst. Auch sie hat ihre wilden Tage hinter sich. Ihr Skandalroman Fick mich , 2000 von der Autorin verfilmt, machte die Sexbeichte wieder hoffähig und war der Vorläufer einer überaus erfolgreichen Bekenntnisliteratur, die von Michel Houellebecq bis Catherine Millet reicht. Prostitution, Drogen und Gewalt spielten auch in dem Thriller Die Unberührte (1999) tragende Rollen. Ihre subtile Zwillingsgeschichte Pauline und Claudine wies sie endgültig als Erzählerin von Rang aus.

Mit "Teen Spirit" vollzieht sie nun eine geglückte Wendung zur Gesellschaftskomödie. Brunos Bildungsweg hält einer Generation den Spiegel vor, die es sich gemütlich gemacht hat unter einem fatalistischen Glassturz und vor lauter Selbstmitleid nicht vom Fleck kommt. Mit ihrer humanistischen Botschaft wandelt Despentes an der Grenze zum Kitsch, aber durch bissige Figurenzeichnung und schonungslose Innensicht hält sie stets die Balance. "Am Ende kam dann doch immer alles gut hin." Man glaubt es gern.

© Thomas Kastura




Die Rezension erschien unter dem Titel "Papa war mal Punk" im Rheinischen Merkur vom 10.7.2003

Virginie Despentes: Teen Spirit.
Aus dem Französ. von Kerstin Krolak.
Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2003. 158 Seiten. 12 €


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